Wertverlust von Aktien bei Insolvenzverfahren
Erlischt das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs einer inländischen Aktiengesellschaft (AG), weil sie infolge einer Insolvenz aufgelöst, abgewickelt und im Register gelöscht wird, entsteht dem Aktionär ein steuerbarer Verlust, wenn er seine Einlage ganz oder teilweise nicht zurückerhält. Der Verlust entsteht bereits vorher, wenn solche Aktien schon vor der Löschung im Register durch die depotführende Bank aus dem Depot des Aktionärs ausgebucht werden. Der Verlust entsteht aber nicht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem mit einer Auskehrung von Vermögen im Rahmen der Schlussverteilung des Vermögens der AG objektiv nicht mehr zu rechnen ist oder die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt oder deren Börsenzulassung widerrufen wird.
Praxis-Beispiel:
Der Kläger hatte im Jahr 2009 Aktien an einer börsennotierten inländischen AG erworben, die in einem Depot verwahrt wurden. Der Kläger war an der AG zu weniger als 1% beteiligt. Die Aktien waren Bestandteil seines steuerlichen Privatvermögens. Über das Vermögen der AG wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Aktien wurden zum 31.12.2013 im Depot des Klägers noch mit einem Stückpreis ausgewiesen. Der Kläger machte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2013 einen Totalverlust geltend und beantragte, den Verlust mit anderen Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien zu verrechnen, die er im Jahr 2013 erzielt hatte. Das Finanzamt lehnte dies ab.
Der BFH hat entschieden, dass eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, weil ein Tatbestand weder für den Fall des rechtlichen Untergangs inländischer Aktien aufgrund einer insolvenzbedingten Löschung noch für deren Ausbuchung aus dem Depot durch die depotführende Bank vorgesehen ist. Auf diese Vorgänge ist der Veräußerungstatbestand gemäß § 20 Abs. 2 EStG entsprechend anzuwenden.
Ein steuerbarer Verlust entsteht für den Aktionär aber erst, wenn er aufgrund des rechtlichen Untergangs seines Mitgliedschaftsrechts oder der Ausbuchung der Aktien aus dem Depot einen endgültigen Rechtsverlust erleidet. Im Jahr 2013 hat der Kläger zwar einen Wertverlust hinnehmen müssen. Dieser hat aber weder den Bestand seines Mitgliedschaftsrechts berührt noch sind die Aktien aus dem Depot des Klägers ausgebucht worden. Der BFH hat die Revision zurückgewiesen, weil der steuerbare Verlust nicht im Jahr 2013 eingetreten ist.
Konsequenzen: Das BFH-Urteil hat Bedeutung für Aktien, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind und bei denen der Untergang des Mitgliedschaftsrechts oder die Depotausbuchung in den Veranlagungszeiträumen von 2009 bis einschließlich 2019 stattgefunden hat. Für Veranlagungszeiträume ab 2020 hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG geregelt, dass Verluste aufgrund einer Ausbuchung wertloser Aktien und eines sonstigen Ausfalls von Aktien steuerbar sind und einer eigenständigen Verlustverrechnungsbeschränkung unterliegen. Damit ist die vorherige gesetzliche Lücke geschlossen worden, sodass es einer entsprechenden Anwendung des Veräußerungstatbestands aufgrund des rechtlichen Untergangs des Mitgliedschaftsrechts und bei einer Depotausbuchung ab dem Veranlagungszeitraum 2020 nicht mehr bedarf.