Abzinsung von Verbindlichkeiten: 2010 noch verfassungsgemäß

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind unverzinsliche betriebliche Darlehen mit 5,5 % abzuzinsen. Das heißt, dass nur der abgezinste Betrag in der Bilanz ausgewiesen wird. Die Differenz zwischen Nominalwert und abgezinstem Wert erhöht den steuerlichen Gewinn. Der BFH hat die Höhe des Zinssatzes von 5,5%, der bei der Abzinsung angewendet werden muss, für Wirtschaftsjahre bis einschließlich 2010 als verfassungsgemäß angesehen. Des Weiteren stellt der BFH fest, dass eine nachträglich vereinbarte Verzinsung nicht rückwirkend anzuerkennen ist.

Praxis-Beispiel:
Die Steuerpflichtige erhielt im Jahr 2010 für ihren Gewerbebetrieb von einem Bekannten ein langfristiges Darlehen über 250.000 €, das zunächst nicht zu verzinsen war. Während einer Außenprüfung, in der es wegen der fehlenden Verzinsung um eine bilanzielle Gewinnerhöhung ging, legten die Vertragspartner eine ab dem 01.01.2012 beginnende Verzinsung von jährlich 2 % fest. Später hoben sie den ursprünglichen Darlehensvertrag auf und vereinbarten rückwirkend ab 2010 eine Darlehensgewährung zu einem Zinssatz von 1%. Das Finanzgericht, das das Darlehen steuerlich dem Grunde nach anerkannte, ließ die nachträglich getroffene Zinsvereinbarung unberücksichtigt, so dass sich für das Jahr 2010 ein hoher einkommen- und gewerbesteuerpflichtiger Abzinsungsgewinn ergab. In diesem Zusammenhang machte die Steuerpflichtige geltend, dass die Höhe des Zinssatzes von 5,5% verfassungswidrig sei.

Der BFH bestätigt das Gebot der Abzinsung für unverzinsliche Verbindlichkeiten. Durch die Abzinsung werde steuerlich berücksichtigt, dass eine Verpflichtung, die erst in Zukunft zu erfüllen ist, das Unternehmen weniger belaste als eine sofortige Leistungspflicht. Fehlt eine Gegenleistung für den Zahlungsaufschub ist das Darlehen nicht mit dem Nennwert, sondern dem geringeren Barwert zu passivieren. Zinsvereinbarungen, die nach dem jeweiligen Bilanzstichtag getroffen wurden, können (selbst wenn sie zivilrechtlich rückwirkend erfolgen) wegen des bilanzsteuerrechtlichen Stichtagsprinzips sowie des allgemeinen steuerlichen Rückwirkungsverbots erst für künftige Wirtschaftsjahre berücksichtigt werden.

Soweit die Steuerpflichtigen rügen, dass der Zinssatz von 5,5% verfassungswidrig zu hoch sei, teilt der BFH diese Auffassung nicht für das Jahr 2010. Im Jahr 2010 habe sich jedenfalls das niedrigere Marktzinsniveau noch nicht derart strukturell verfestigt, dass es dem Gesetzgeber nicht noch zuzubilligen gewesen wäre, aus Vereinfachungsgründen an dem statischen Abzinsungssatz von 5,5 % festzuhalten. Der vergleichsweise heranzuziehende Zins am Fremdkapitalmarkt habe Ende des Jahres 2010 noch knapp unter 4 % gelegen.

Hinweis: Der BFH hat wegen der Höhe der Nachzahlungszinsen von 0,5% pro Monat (= 6% pro Jahr) für Zeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. In einer später veröffentlichten Entscheidung hat der BFH die Aussetzung auf Zeiträume ab 2012 ausgedehnt. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen erheblich, da sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. 
Der BFH findet den Zinssatz von 5,5% für Abzinsung unverzinslicher Darlehen im Jahr 2010 noch zulässig. Ab 2012 dürfte das – entsprechend den vorstehenden Ausführungen – nicht mehr gelten. Das heißt, dass die Abzinsung ab 2012 (spätestens jedoch ab 2013) aus verfassungsrechtlichen Gründen mit einem deutlich niedrigeren Zinssatz erfolgen müsste.

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